Mittwoch, 20. Januar 2010

Erasmus Reloaded

Aarhus, Tag 10. Zeit für eine Einführung in mein neues Leben in der skandinavischen Eiswüste. Okay, das ist ungerecht. Als ich vor über einer Woche angekommen bin war es das Winterwunterland schlechthin, mit glitzerndem Schnee und strahlend blauem Himmel. Und Winter ist nun einmal überall kalt.

Die Stadt ist toll und hat Potential im Sommer umwerfend zu werden. Ein großstädtisch wirkender Hafen, eine Restaurantmeile an einem Fluss, eine urige Innenstadt mit Bars und Pubs, eine berühmte Altstadt mit Park für Grillen und Chillen (im Sommer, versteht sich) und eine lange Shopping-Straße. Was will man mehr.

Leider wohne ich nicht in der Stadt, sondern im Ghetto (mit einem liebevollen Unterton). Mit 1000 anderen Studenten, die sich aber noch in den Zimmer verkrochen haben, was sich hoffentlich mit kommendem Tauwetter ändern wird. Einsam bin ich trotzdem nicht, da sich ja der ganze "Europe in the World"-Kurs auf den langen Weg in den Norden gemacht hat und wir alle im selben Komplex wohnen (wir können uns sogar kostenlos über Festnetz anrufen). Heather ist immer noch meine Mitbewohnerin, allerdings teilen wir uns jetzt anstatt 20 qm eine luxuriöse zwei Zimmer-Wohnung mit kleiner Einbauküche und Bad. Wir fangen gerade erst an, uns an so viel Platz zu gewöhnen.
Mein Zimmer ist wunderbar: ein Studio mit 20 Metern Deckenhöhe, mit Empore und ich komme mir sehr erwachsen vor. Einen Nachteil hat das Luxusleben doch: die ersten Tage habe ich gefroren, da die kleine Heizung einfach nicht die Massen an Luft erwärmen konnte. Ein nebensächliches Hindernis war auch, dass ich das Deckenfenster offen stehen habe lassen (Gott, dieses auf- und zumachen mit einer von der Decke runterhängenden Schnur hat mich auch überfordert). Jetzt ists mir sogar manchmal warm hier.

Neben dem Wetter war natürlich die Preise eine der größten Befürchtungen. Am ersten Abend wollte ich hier am Wohnheimssupermarkt einkaufen und habe vor lauter Schock gerade einmal übers Herz gebracht Klopapier einzukaufen. Habe aber mittlerweile herausgefunden, dass die uns hier schröpfen wollen - türkische, arabische und asiatische Läden und Märkte sind um die Ecke und billig. Die Gebrüder Aldi und Lidl habens auch in die Nachbarschaft geschafft.

Ein Großteil meines Alltagsleben findet nun auch in der School of Journalism statt - die ungefähr so praktisch ausgerichtet ist, wie Kommunikationswissenschaft in München theoretisch. Schreiben, schreiben, schreiben. Zum Großteil über Energiepolitik, Klimawandel und Nachhaltigkeit bis jetzt. Aber auch mit spannenderen Themen wie Weltpolitik werden wir uns beschäftigen. Leider steht auch deutsche Außenpolitik bevor, was mir jetzt schon graue Haare wachsen lässt (Ich sehe schon Hans-Henrik Holm vor mir stehen, zwei Meter groß, schlaksig, mit schwarzer Hornbrille - ich rutsche immer tiefer in den Stuhl zurück - die alles entscheidende Frage stellen: "und was meinen denn die Deutschen dazu?". Das birgt unfassbar großes Potential ins Fettnäpfchen zu treten.)

An dieser Stelle muss ich unter großem Trommelwirbel ein Zugeständnis machen(ich habe gerade meine selbstanalytischen zehn Minuten). Ich mutiere zum Journalist. Langsam aber sicher. Ich hätte es nicht für möglich gehalten (äh, wart mal, obwohl ich Journalismus auf einmal studiere?!).Keine Sorge, ich will immer noch nicht wirklich Journalist werden, aber ich ertappe mich dabei,so zu denken und zu handeln. Was nichts Schlechtes ist.


Die Veranschaulichung.


1. News Room Feeling
Ich genieße es. Uni ist hier nicht wie zu Hause, in der Vorlesung sitzen und Referate halten und auf Klausuren lernen.
Wir bekommen kurze Gastvorträge, Gruppenarbeit und dann Recherche. Und dann sind wir auf uns allein gestellt. Wir haben einen großen Computer-Raum, in dem man sitzen kann. Dort wird dann geschrieben, recherchiert, Interviews geführt, geredet, viel Kaffee getrunken, diskutiert, sich gegenseitig weitergeholfen.

2. Das Gesprächsverhalten
Verändert sich. Mit meinen Kommolitonen kann ich kein normales Gespräch führen. Ich befinde mich in einem Zirkel aus Reporter, die mit ihren perfiden Interviewmethoden das letzte bisschen Information herauspressen wollen. So kommt es mir zumindest vor. Es werden selbst im Alltagsleben nur offene Fragen gestellt. "Wie siehst du das denn? Was hälts du von der Art, wie ich die Shampoo-Flaschen in der Dusche aufgestellt habe? Was ist deine Meinung dazu, dass wir morgen den Bus 15 um neun Uhr nehmen?"
Man muss da ganz schön auf der Hut sein, um nicht zu viel Preiszugeben. Passt nur auf, bis ich wieder zurück komme =)!

3. Outdoor-Recherche

Kurz und knapp: Recherche vor Ort im Winter ist das Schlimmste. Auf der Jagd nach dem perfekten Schnappschuss von einem Containerschiff sind Kirsty und ich gestern bei Minustemperaturen (Kirsty glücklicherweise im Mini-Rock, weil sie noch in einer Bar ihren Lebenslauf abgegeben hat) am Hafen auf Eisplatten herumgeschlittert. Leider gab es keine Containerschiffe und auch die CO2-Emissionen,über die wir berichten, konnten wir visuell jetzt nicht so überragend einfangen ("We need some smoke... why are the ships not smoking?"). Wir haben dann ein paar künsterisch hochwertige Bilder vom Straßenverkehr gemacht (blöd, dass es schon um vier dunkel wird und wir uns mit der Zeit etwas vertan haben) und sind dann in die Innenstadt gehetzt um noch ein paar Bilder von einem Fahhradparkplatz zu machen. Jaja, wir haben über das spannende Thema des nachhaltigen öffentlichen Verkehrs geschrieben und was Aarhus da so alles verbockt (weil: good news are no news).

4. Mein geistengegenwärtigstes Interview
das Leben im Ghetto bedeutet vor allem auf das so gut funktionierende Bussystem angewiesen zu sein. Wobei die Fahrpläne auf dänisch im Internet stehen und wir meinstens keine Ahnung haben, was uns jetzt wo und wohin bringen wird. Wenn die's uns so schwer machen, dann zahlen wir auch nicht. Die unangenehmen Konsequenzen haben einige von uns letzten Freitag gesprürt - 600 DKK bei schwarz fahren, umgerechnet über 80 Euro. (Gott sei Dank, habe ich und eine kleine Gruppe der last man standings diesen Bus nicht genommen. Die Partynacht davor hat auf dem Sofa unseres dänischen Tutors geendet und von da gings direkt in die Uni.)
Heute allerdings war ich mit den örtlichen Kontrolleuren hautnah konfrontiert.
Ich: Stolpere durch den fahrenden Bus auf der Suche nach ein paar Einheimischen, die sich zu dem geplanten Light Rail Train in Aarhus äußern (ja, immer noch local transport) - die Kamera in der einen, den Block in der anderen Hand. Da seh ich ihn am Ende des Buses einsteigen. Schwarze Winterjacke und gelbe Krawatte: so sind nur Kontrolleure gekleidet. Ich: kein Ticket. Aber: Angriff is die beste Verteidigung. Also steuere ich zielstrebig auf ihn zu und frage ihn nach seiner Meinung zu den anstehenden Veränderungen an seinem Arbeitsplatz. Leider war sein Englisch nicht so umwerfend, aber ich habe die Konversation bis zum nächsten Busstop am Leben erhalten können, wo ich mich dann sehr spontan aus dem Gespräch verabschiedet habe.

5. Layout-Probleme
Bestehen leider immer noch. Sieht man gut hier an diesem Blog, dass der Wechsel von Utrecht nach Aarhus visuell nicht ganz hingenauen hat. Aber ist in Arbeit.
Wir werden hier übrigens in diesem Bereich geschult - Grafik-Programme und Filmeschneiden stehen genause auf dem Programm wie Arbeit mit Audio und Bild-Dateinen. Soweit ich das mitbekommen habe.

So, das war eine ganze Menge an Buchstaben. Wir haben bis morgen noch einen Artikel fertig zustellen und ich glaube Kirsty und ich sind ein bisschen aus dem Zeitplan. Aber der Druck der Deadline wirds schon richten. Werde mal Kontakt mit ihr aufnehmen und mich wieder Aarhus' Schiffen, Bussen und Rädern widmen.

Ein dicker Schlusspunkt von der heute sehr journalistisch angehauchten Lisa.